DAS PFERD

Dein Pferd ist Dein Spiegel.

Das Pferd ist ein Flucht- und Herdentier. Und ein hochsoziales Wesen. Wenn der Mensch eine Partnerschaft mit ihm anstrebt, kann er seine artspezifischen Bedürfnisse nicht ignorieren. Das Pferd zu verstehen, das ist die Basis. Je näher wir dem Verstehen der Natur des Pferdes kommen und unser dementsprechendes Denken und Fühlen im Handeln seine Umsetzung findet, umso angenehmer entwickelt sich die Zusammenarbeit mit dem Pferd. Wissen ermöglicht, die natürlichen Verhaltensweisen und Reaktionen des Pferdes interpretieren zu können - statt menschliche Denkmuster und Verhaltensweisen auf das Pferd zu projizieren. Widersetzlichkeiten mit natürlichem Abwehrverhalten zu verwechseln resultiert aus eben dieser Projektion. Pferde agieren nicht taktisch, ihr Verhalten ist stets aufrichtig und echt. Umgang und Ausbildung sind stressfrei möglich, wenn sich der Mensch in jeder Hinsicht an der Natur des Pferdes orientiert, nicht an seiner. Das steht als Grundsatz in den Richtlinien, scheint aber überlesen zu werden. Wird die Reitlehre gemäß der natürlichen Anlagen, Bedürfnisse und Verhaltensweisen des Pferdes korrekt umgesetzt, mit Vertrauen, Achtung und Respekt, erlangt der Mensch innere Stärke im Umgang mit dem Pferd.

Pferde sind hochsensibel. Das liegt in ihrer Natur. Das Urelement des Pferdes ist die Bewegung in Freiheit. Alle Sinne sind permanent wach und ermöglichen rasches Handeln. Weitläufige Bewegung in Freiheit ist dem Pferd nicht mehr möglich. Der Mensch entschied über die Lebensform eines Wesens, das bereits viele Millionen Jahre vor ihm selbst diese Erde bewohnte. Dabei nahm er ihm nahezu alles, was für das Pferd als Flucht- und Herdentier von Bedeutung war. In der geschichtlichen Entwicklung durchlief das Pferd viele unterschiedliche Stadien. In all diesen hat der Mensch dem Pferd viel zu verdanken. Irgendwann geriet die Relation zwischen Nutzen und Eigeninteresse und den Bedürfnissen des Pferdes ins Wanken. Im Entwicklungsprozess der Beziehung des Menschen zum Pferd fällt vor allem das letzte Jahrhundert aus dem Rahmen. Warum wird das Pferd selten verstanden? Eine komplexe Frage. Die Erkundung des Verhältnisses Mensch - Pferd bewegt sich im weiten Feld zwischen Mythen und Fakten. Die ethischen Dimensionen dieser Verbindung sind wohl kaum erfassbar, vielleicht aber die der Kommunikation.

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Das Pferd im 21. Jahrhundert
 

Die Entwicklungsgeschichte
des Pferdes ist untrennbar mit der Entwicklung der menschlichen Zivilisation verknüpft. Die Erhaltung seiner Art und seine Lebensbedingungen sind vom Menschen dominiert. Das Pferd als Kulturgut des Menschen prägte die Gesellschaft und trug zum Fortschritt dieser bei. Sein Einsatz reichte von der Landwirtschaft über die Kriegsschauplätze bis zum industriellen Einsatz und dem Transportwesen. In der Jahrtausende währenden Beziehung zwischen Mensch und Pferd ist letztlich in einem einzigen Jahrhundert ein grundlegender Wechsel vollzogen worden: Die Trennung des Menschen vom Pferd im Sinne des, wie Ulrich Raulff ihn bezeichnet, kentaurischen Pakts. Wie die zivilisatorische Entwicklung des Menschen ohne den Partner Pferd an seiner Seite verlaufen wäre, lässt viel Raum für Spekulationen. Zu keinem anderen Tier hat der Mensch eine solch innige und emotionale, von diversen Motiven bewegte und gesteuerte Beziehung. Bereits in frühesten Höhlenmalereien finden sich Darstellungen des Pferdes. Der Mensch nutzte und verehrte das Pferd. Die Form der Wertschätzung und Verehrung, von Prinzipien und ethischen Richtlinien geprägt, wurde bereits von Xenophon um 400 v. Chr. lebhaft geschildert.


Seit Jahrtausenden nimmt das Pferd einen hohen Rang in der Kunst ein. Seine Darstellungen in Malerei, Bildhauerei, Skulptur und Literatur sind Epochen übergreifend geprägt von der Faszination, die es auf den Menschen ausübt. In der Rolle des Kultobjektes war das Pferd schon immer präsent. Die Beziehung berühmter Feldherren zu ihren Rössern ist legendär. Die Verehrung, die ein Alexander der Große seinem Bukephalos oder ein Napoleon seinem Marengo entgegenbrachte, wurde mystifiziert. Das unverzichtbare Streitross symbolisierte Herrschaft und Macht als Inbegriff von Dynamik und Eleganz. Die Bedeutung für die Kavallerie verlor das Pferd im 20. Jahrhundert, ebenso die für die Landwirtschaft, in der es durch Maschinen ersetzt wurde. Was also war zu tun mit dem arbeitslos gewordenen Pferd? Es wurde ein neues Einsatzgebiet gefunden und geschaffen; das Pferd zog ein in die Spaß- und Eventindustrie. 


Der älteste und treueste Partner des Menschen, mit hoher sozialer Intelligenz ausgestattet, ist für seinen neuen Wirkungskreis überqualifiziert. Als Prestigeobjekt hat es einen schweren Stand. Auch diesen neuen Bund mit dem Menschen, ebenfalls einseitig beschlossen, der aber anderen Charakters und von anderen Motiven initiiert und dominiert ist als alle anderen zuvor, ist das Pferd klaglos eingegangen und hat dem Menschen die Treue nicht gebrochen. Schauen wir noch einmal zurück. Es gelang dem Menschen die Domestizierung eines wilden Geschöpfes, das entgegen seiner Natur und seinen Instinkten jeweils bis zum bitteren Ende seinen Dienst bedingungslos in den des Menschen stellte. Von Beginn an war dieser gelebte Vertrag seitens des Menschen von Anmaßung, Ignoranz und Gewalt nicht frei. Der Mensch drückte dem Pferd seinen Stempel auf. Jedoch war es in seiner geschichtlichen Entwicklung bisher nicht auf die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse reduziert worden. Dagegen heute: Pragmatische Motive sind durch Luxus-Motive ersetzt worden. In den Bereichen Freizeit und Vergnügen, aber auch im Sport, wird das Pferd zum erfüllenden Objekt, zum Kompensationsinstrument der eigenen Bestrebungen, Wünsche und Träume. Und auch solcher von (falsch verstandener) Selbstverwirklichung. An dieser, in einem neuen Bereich der Skala der Anforderungen angesiedelten Verwendungsweise zeigt sich indes in deutlichster Ausprägung das aneinander Vorbeireden beider Partner dieser sonderbaren Allianz.


In einem Umfeld, das seiner Natur, seinem Instinkt und seinem Intellekt nicht gerecht wird, ist das Pferd in seinem Bewegungsverhalten vom Reiter kontrolliert und dimensioniert, in ein Korsett gezwungen worden, das eng wird. Die schönste Kreatur auf Erden büßt ihren Charme und ihre Anmut ein. Die Aura von Kraft und Schnelligkeit, die es seit Urzeiten umgab und die ihm zutiefst zu eigen ist, scheint sich zu verflüchtigen. Das Reitpferd, denn nur als solches ist es noch existent, soll idealerweise seine natürlichen Bewegungen unter dem Reiter präsentieren. In diesem noch verbliebenen Verwendungsbereich wird das Pferd aber drastisch beschnitten, auf seine optischen Reize reduziert oder unter Desensibilisierung seiner Sinne in Schablonen gepresst. Wie kann es seine Anlagen entfalten und sich in der Gesellschaft des Menschen wohl fühlen, wenn nahezu all seine arttypischen Bedürfnisse ignoriert werden?


Die historische Leistung des Pferdes ist zutiefst beeindruckend. Charakterstärke und wahre Größe zeichnet es aus. Damit dient es als Lehrmeister. Mit erhabener Haltung zeigt es dem Menschen, wohin es sich zu entwickeln gilt. Anerkennung und Hochachtung der Tugenden, Respekt vor dem Mut, der Entschlossenheit und der Kraft, die es bedingungslos für den Menschen einsetzt, sind adäquate Haltungen. Unangemessene Sentimentalitäten, geprägt von der Projektion menschlicher Emotionen sind hingegen fehl am Platz.


Wie sieht sie aus, die Rolle des Pferdes im 21. Jahrhundert? In der Freizeit- und Berufsreiterei, im Hobby und Erholungsbereich des Menschen ist seine einzige noch verbliebene Daseinsberechtigung. Das bleibt nun nur noch positiv zu sehen, denn es bietet dem Pferd die letzte Option auf eine Existenz und dem Pferdebesitzer und Reiter die Chance, ihm dieses Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Dafür ist eine Aufklärung hinsichtlich Sprache und Vokabular von immenser Bedeutung. Das Pferd ist nicht in der Verpflichtung, den Menschen zu verstehen. Der Mensch ist in der Verpflichtung, das Pferd zu verstehen.