REITKULTUR


Wer glaubt etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.

 
Sokrates 




Die Reitkultur in ihrer Bedeutung für die Gegenwart

Idealerweise und theoretisch sollte es keinen Unterschied zwischen der klassischen Schule und dem Dressursport geben: In der Praxis ist er jedoch vorhanden.

Das Ziel der klassischen Schule ist es, das Pferd durch eine logische und psychologische Ausbildung zu gymnastizieren. Der Dressursport möchte den Pferden Lektionen für den Wettbewerb beibringen.

Kurt Albrecht

Die Entwicklung 
der Reitkultur in ihrer Banalisierung erfährt eine Beschleunigung, mit der sie sich vom Reiten, so wie es gedacht war, mit dramatischer Geschwindigkeit entfernt. Der lange Weg reeller Ausbildung lässt Reitschüler die Flucht ergreifen, wo doch an jeder Ecke Dogmensammlungen und Versprechen des rasanten Erfolges locken. Zumeist ohne Expertise. Es erscheint keine noch so obskure Möglichkeit als nicht praktikabel, wenn sie nicht die Abkürzung des langen Weges korrekter Ausbildung verspricht. An Versprechen aller Art, auch an die sonderlichsten Prognosen, klammert sich der Reiter. Der Begriff der Klassischen Reitlehre hat eine seltsame neue Definition erfahren. Die Klassische Reitlehre ist keine alternative Reitweise, sondern erforschte und tradierte Ausbildungsmethode. Am Werk de la Guérinièrs (École de cavalerie 1733) orientierte sich die Gestaltung der HDV 12 (Heeresdienstvorschrift von 1912) und in Folge die der Richtlinien. Wobei die Interpretation der Vorlage nicht unkritisch beurteilt wurde. Dennoch legte sie Maßstäbe der Ausbildung des Pferdes zugrunde, an denen sich der gewissenhafte Reiter orientieren muss. Pseudo-Klassisch ist enorm populär und hat viele Reiter dazu gebracht, eine Materie unkritisch zu bewandern, deren eigentliche Bedeutung ihnen verschlossen bleibt. Die gefakte Klassische Dressur ist auf Erfolgskurs. Ist viel einfacher und sieht auch hübsch aus. Beobachtete Äußerlichkeiten werden zum Kriterium für Definition. Klassisches Reiten definiert sich nicht über die Koketterie der Verwendung spanischer Sättel, das Tragen von Brokatjäckchen mit Goldkordel oder gar das Reiten des Pferdes auf blanker Kandare. Vermeintliche und durchaus befremdliche Charakteristika werden einer diffizilen Materie aufgestempelt und verschleiern ihre eigentliche Bedeutung und vor allem ihren Wert.


Das Dressurreiten
hat sich, so zeigt es die Entwicklung, offensichtlich nicht mehr zum Ziel gesetzt, die klassische Reitlehre zu präsentieren. Was möchte es denn dann präsentieren und welchen Prinzipien folgt es? 

Das Bestreben der Reitkunst, das Pferd durch die Gestaltungskraft des Menschen zum beseelten Kunstwerk zu erheben, resultiert aus ihren Ursprüngen im Barock. Wie die Ausbildung des Pferdes zum lebendigen Kunstwerk sollte auch die Ausbildung des Pferdes zum sportlichen Athleten auf wissenschaftlichen Grundlagen basieren und diese nicht in Frage stellen. Auch beim Sportpferd ist eine korrekte Gymnastizierung unverzichtbar. Die Ausbildung gemäß der reinen Reitlehre bildet die Grundlage für das Sportpferd. Und für alle, eventuell folgenden, höheren Ambitionen. Mit dieser Voraussetzung kann ein athletisches Pferd zu einem Kunstwerk werden, wenn der Reiter sich der anspruchsvollen Materie öffnen und eine solche Gratwanderung vornehmen will. Ohne systematische Grundlagenarbeit ist das nicht möglich. Ohne entgegengebrachte Wertschätzung ebenso wenig. 

Die Erhaltung der Reitkultur und das Bewahren der Klassischen Ideale (soweit noch möglich) setzt ein umfangreiches Wissen des Ausbilders mit entsprechender Philosophie und die Bereitschaft voraus, das Wissen im praktischen und theoretischen Bereich mit fachlicher, sozialer und pädagogischer Kompetenz zu vermitteln. 

Ein richtiger Pferdemann muss nicht nur Kenner sein - er muss auch als Pferd denken und fühlen können, es also nicht als mit Menschenverstand ausgestattet wissen wollen. Das Wort Pferdemann oder Pferdemensch sagt, dass ein solcher Pferd und Mensch zugleich sein soll - ein Zentaur nicht nur im körperlichen, sondern auch im seelischen Sinn.

Waldemar Seunig


Echte Harmonie zwischen Reiter und Pferd, die den Ausdruck und damit gleichzeitig den Eindruck der Darbietung bestimmt, kann es daher erst geben, wenn der Reiter seine Einwirkungen mit den Bewegungen des Pferdes so fein abzustimmen vermag, dass  sie auch wirklich helfend und nicht zusätzlich störend wirken.

Kurt Albrecht


Eines aber sollte als wichtigste Voraussetzung angesehen werden: Die Lust, sich weit über das Oberflächliche hinaus mit dieser Kunst und ihren Begleitwissenschaften beschäftigen zu wollen. Wer sich nur materielle Ziele steckt und sich die Basis an Wissen und Können im "Vorbeigehen" zu erwerben trachtet, wird für eine solche Aufgabe sicher nicht optimal geeignet sein.

Kurt Albrecht                             


Wenn die Anlehnung so fein ist, dass sie eigentlich nicht nötig wäre, wenn der Zuschauer in Gang und Haltung keinen Unterschied wahrnimmt, gleich ob der Reiter die Verbindung mit dem Pferdemaul hält, aufgibt und wieder annimmt, wenn das Pferd sich so trägt, wie es natürlicherweise am mutigsten und schönsten aussieht. Dann ist das Pferd in Selbsthaltung. Die Anlehnung ist desto lobenswerter je weniger davon übrig bleibt.

Udo Bürger


Das Pferd muss aber auf ein gegebenes Zeichen die Übungen gern tun und kann sich dann aufs schönste und herrlichste zeigen. 

Xenophon 


Richtig reiten reicht.

Paul Stecken


Auf die Bearbeitung der Hinterhand, namentlich des Hüft- und Kniegelenks hat der Bereiter all seine Aufmerksamkeit zu richten, wenn er aus seinem Pferd all das entwickeln will, was ihm die Natur verliehen hat. Er hat diese Aufgabe erfüllt und sein Pferd vollkommen ausgebildet, wenn er die beiden in der Hinterhand ruhenden Kräfte, die Schub- und die Tragkraft, letztere in Verbindung mit der Federkraft, zur höchsten Entwicklung gebracht und in ihren Wirkungen wie in ihrem Verhältnis zueinander beliebig und genau abzuwägen vermag.

Gustav Steinbrecht


Leichtigkeit besteht nicht nur darin, wie wenig das Pferd sich auf die Zügel legt. Sie besteht exakt darin, ein Pferd zu haben, welches durch seine Fröhlichkeit und Energie solange wie möglich die gewünschte Haltung und Bewegung bewahrt, ohne durch Hilfen dazu ermuntert werden zu müssen. 

Nuño Oliveira